ALLES IST IM FLUSS
Deutscher Werkbund Berlin
12. September 2021, Rede zur Finissage: Manfred Eichel, Berlin
Liebe Christine, liebe Freundinnen und Verehrer von Christine Jackob-Marks, ich hatte das Vergnügen, in den vergangenen zwölf Jahren immer wieder über diese wunderbare Künstlerin zu sprechen – oder etwas über sie zu schreiben.
SIE können zwei Schlussfolgerungen daraus ziehen: Erstens – ich schätze ihre Kunst ganz außerordentlich. Und zweitens – sie verschafft mir immer wieder ganz frische Gelegenheiten, Neuland zu entdecken. Ich musste mich also so gut wie nie wiederholen. Diese kleine, aber sehr feine Ausstellung im „Werkbund“, die Gerwin Zohlen mit Ina Weisse und natürlich auch der Malerin so überzeugend kuratiert hat, beweist aufs Trefflichste, was ich meine: Christine Jackob-Marks verfügt über ein sehr breites Themen-Spektrum und setzt darin immer wieder sehr überraschende, oft verblüffende Akzente.
Hier hängen nur fünf Bilder aus gut zwei Jahrzehnten: Gegenständliches, Figürliches aus dem Jahre 2001 und Ungegenständliches aus der jüngeren Produktion, also aus diesem Jahr 2021. Beide Produktionen sind sehr unterschiedlich und in ihrem spielerischen Umgang mit Formen und Farben doch auch ähnlich.
Die Landschaften wie die aus dem Braunkohle-Tageabbau in der Lausitz aus dem Jahre 2001 hatte ich vorher noch nie woanders so gesehen. Sie erinnern mich allenfalls an die Farbblöcke von Mark Rothko. Doch während die schweben und flirren, sind die bei Christine Jackob-Marks fest und kompakt. Aber auch sie schicken die Phantasie auf Reisen, fesseln den Betrachter durch den Aufeinanderprall der Motive – Wald, Himmel, Erdschichten.
Das sind Kompositionen, die sorgfältig geplant und vielleicht auch mal übermalt worden sind – bis die Künstlerin zufrieden war. Sie wissen: Ich beziehe mich auf die beiden großen Formate an den Stirnseiten.
Und zwischen ihnen erleben Sie die freien Improvisationen von 2021, die Schwünge und Kontraste, ganz aus einer augenblicklichen Stimmung auf die Leinwand gesetzt. Sie erinnern mich an die fixen Bleistift-Skizzen, die Christine Jackob-Marks hingeworfen hat, wenn ihr Mann Alan Marks, der 1995 verstorbene, aber wirklich unvergessliche Konzert-Pianist und Komponist und große Anreger, auch im Zusammenspiel mit Schauspielern Klavier gespielt hat. Damals hat sie zu seinen Schubert- oder Satie-Interpretationen Blätter gezeichnet, in denen wirklich die Musik mitgeklungen hat – und immer noch mitklingt. Meistens gelingen solche Interaktionen ja kaum, ja eigentlich nie, wenn es um die optische Bebilderung von parallel ablaufender Musik geht. Sie werden die Berichte gelesen haben, als sich vor wenigen Wochen Hermann Nitsch angemaßt hat, zu einer konzertanten Walküre-Aufführung in Bayreuth rote Farbe über weiße Leinwände zu gießen. Klar, dass das vom Musikgenuss ablenkte, klar, dass es kräftige Buhs gab. Außer einigen Galeristen kann solch eine alberne Spekulation doch niemandem gefallen. Immerhin hat sie dem Kunsthandel nun 20.000 Quadratmeter Ware geliefert, mit denen jetzt Flächen in allen beliebigen Maßen behängt oder tapeziert werden können.
Bei Christine Jackob-Marks aber sind Gesehenes, Gehörtes und Gefühltes immer ganz eng beieinander – auch ohne Musik wie auf den drei schwungvollen Kompositionen hinter mir an der großen, dem Eingang gegenüber liegenden Werkbund-Wand.
Noch ein Letztes, was ich gerade in diesem Kreis loswerden möchte: Ich sehe hier viele Kreative: solche die zeichnend, entwerfend, gestaltend, schreibend, malend, im besten Sinne also komponierend, tätig sind.
Sie werden verstehen und vielleicht auch auf sich selbst beziehen können, was mir an Christine Jackob-Marks immer so eindrucksvoll erschienen ist: dass sie eine Getriebene ist, eine, die nicht – oder nur schwer aufhören kann, wenn ihr immer wieder neue Ideen durch den Kopf schwirren. Sich auf einen für sie einmal als erfolgreich erwiesenen Stil oder Themenkreis zurück zu ziehen, kann ihr gar nicht in den Sinn kommen.
Wie schön für sie, aber auch für uns, dass das so ist. Das möge noch viele Jahre lang so bleiben! Womit ich auch Deine, liebe Christine, so herzliche Gastfreundschaft mit einschließe.
Eine Deiner Vorgängerinnen im Geiste und an der Gäste-Tafel, die immer noch verehrte Rahel Levin Varnhagen hat einmal vor gut zweihundert Jahren bekannt: „Ich liebe unendlich Gesellschaft … ich bin ganz überzeugt, dass ich dazu geboren bin, gastlich zu sein.“ Wie schön für uns, dass der Geist der Varnhagen in Dir so lebhaft weiterlebt!
Bleibe bitte so gesund, schaffensfroh …und so schön gesellig wie bisher!
Manfred Eichel
(Historiker, Kunst- und Literaturwissenschaftler. Ehemals leitender Kulturjournalist u. a. ZDF aspekte, Literarisches Quartett, Literatur und Kunst)